Loggia e.V.
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„Die diaphane Front der Loggia führt dem Betrachter das, was er außerhalb sieht, in strukturierten Ausschnitten vor. Für den Moment des distanzierten Blicks transformiert die Rahmung die Landschaft, den Garten oder das Stadtpanorama gleichsam in ein Bild, das sich jedoch aufzulösen beginnt, sobald er dicht an die Brüstung herantritt oder die Öffnung gar durchschreitet.“ [1]
Horizontalen und Vertikalen überlagern sich beim Blick aus dem Ausstellungsraum, der – durch dessen rechtwinklige Fensterteilung unterbrochen – sodann auf eine andere Fassade trifft, die sich streng geometrisch in einheitliche Quader gliedert. Als Raum erfüllt die Loggia architekturtheoretisch gesehen die Rolle des Bindeglieds zwischen Innen- und Außenraum. Versteht man den Ausstellungsraum Loggia als eine Form dieses Raumtypus im weitesten Sinne, so erklärt sich der bereichernde Dialog zwischen Amedeo Polazzos Wandmalerei und diesem Raum. Bei Loggia, München, wird dieser Tage weitaus mehr als der Blick ins reale Außen strukturiert. In den Bildern des Künstlers durchdringen sich Interieur und Außenbereich kontinuierlich, wobei der Blick nie nur in eine Richtung gelenkt wird. Polazzo lädt die Betrachter_innen in einen liminalen Raum ein, innerhalb dessen die Grenze zwischen Realraum und illusionistischer Darstellung aufgeweicht wird.
Auf der Basis von drei sich verdichtenden Ebenen – Ort, Zeit und soziale Dimension – konstruiert Polazzo seine immersiven Bildräume, wobei die intensive Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum den Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen darstellt. So nimmt er zum einen Besonderheiten im Raum, wie Verblendungen und Wandvorsprünge, nicht nur an, sondern führt diese im Motiv weiter und geht darüber hinaus der Funktion und Historie des Ortes nach.
Jägerzaun, Klinkerfassade, Reste einer geblümten Tapete, eine gelbe Markise – Nachkriegsarchitektur trifft auf Renaissance – Säulen, Fenstergitter, eine Kassettendecke, ein Rundbogenfenster. Schließlich wird die in den Raum geworfene Frage nach den „whereabouts“ nur fragmentarisch beantwortet, denn die Schauplätze Polazzos entziehen sich einer eindeutigen Verortung. Selbstreferentielle Aspekte, wie subtile Brüche mit einer einheitlichen Perspektive, Verwischungen und Überlagerungen von Malschichten Irritieren beim Versuch einer Kategorisierung zusätzlich. Deuten eingeschlagene Scheiben und halb heruntergelassene Rollladen also möglicherweise den Schwund des Einzelhandels – auch in Zusammenhang mit dem ehemals als Ladenfläche genutzten Raum von Loggia – und eine vielerorts um sich greifende Tristesse in den Innenstädten an? Oder handelt es sich am Ende schlicht um ein langsam verfallendes Wohnhaus, dessen ehemalige Bewohner_innen ein modernes Passivhaus bevorzugten?
Amedeo Polazzo, dessen Biografie von wechselnden Wohnorten und internationalen Ausstellungen geprägt ist, zeichnet seine dynamischen Spuren nach und übersetzt sie in Form von sichtbarer Vielschichtigkeit, formal und inhaltlich, als zentrale Geste an der Wand. Wie Close-ups, die verschiedene Bildebenen komprimiert verzahnen, treten dabei die Öl- und Pastellmalereien auf Leinwand hervor, sie steigern die Komplexität des Settings, während manche der Motive durch extremes Heranzoomen die Sicht eher verklären statt aufzuklären.
Plastizität, ein detailliert ausgeführter perspektivischer Aufbau und eine, für Loggiaausmalungen charakteristische, sich auf den gesamten Raum erstreckende Komposition zeichnen Polazzos Wandmalerei aus, während die mit Wasser verdünnte Pastellkreide die der Malerei inhärente begrenzte Lebenszeit vorwegnimmt und einen Eindruck von Flüchtigkeit hinterlässt. Die verlassenen Szenen wirken in ihrer Zeitlosigkeit der realen Welt entrückt. Vage Momente – unklar bleibt, ob sich das Dargestellte gerade aufbaut oder im Begriff seiner Dekonstruktion befindet. Diese in Polazzos Worten „Moments of Potential“ verhelfen den Bildern zu einer Lebendigkeit, die ohne lebende Protagonist_innen auskommt, und durch beiläufige Details wie ein sich eigensinnig kräuselnder Stacheldraht, kletterndes Pflanzenwerk und im Wind flatternde Wäsche verstärkt wird. Eine Analogie zwischen der Welt auf der Wand und der Realität unterstreichend, befragt der Künstler immer wieder sein Verständnis von Raum und Zeit und relativiert dessen Bedeutung gerade in dieser als stillgelegt empfundenen Gegenwart, wo die Präsenz von Grenzen deutlicher ist denn je.
Tatsächlich bilden Grenzen in Amedeo Polazzos Werk schon lange ein Kernthema, was ihre facettenreiche Allgegenwärtigkeit in seinen Bildfindungen erklärt. Innerhalb dieses kritischen Diskurses thematisiert er unter anderem Fragen nach Akzeptanz und Ablehnung von Exklusion sowie den Umgang mit Privilegien, und rückt insbesondere unterschwellige Grenzen und Ausgrenzungen, darunter Gartenzäune und Vorhänge, in den Fokus. In Analogie dazu, wie unterschiedlich reale Grenzen je nach Perspektive erscheinen, verbleiben Polazzos Begrenzungen häufig ambivalent, wozu nicht zuletzt Metamorphosen verhelfen. Klinkerriemchen tanzen aus der gemauerten Reihung. Nebenan kokettiert der gewöhnlich bedrohlich gebärdende Stacheldraht spielerisch mit einer barock gedrehten Säule im Stile Berninis und kaschiert mit diesem Euphemismus seine eigentliche Intention. An Stellen wie diesen mag man sich an die illusionistische Freskendekoration italienischer Loggien, bestimmt durch fantastische Landschaften und Mythologien, erinnert fühlen.
Bei all den Hindernissen suggeriert die an der Wand lehnende Leiter eine naheliegende Lösung. Für Loggia adaptiert Amedeo Polazzo das in seinen Bildräumen verlässlich wiederkehrende Motiv der Vergitterung, wie sie an italienischen Palästen der Renaissance zu finden ist, und entwirft ein Gitterelement aus Scagliola, eine häufig für Intarsienarbeiten eingesetzte Kunsttechnik, bei der durch Bearbeitung von Gips unter Zuhilfenahme von Pigmenten Marmor nachgeahmt wird. In vergleichbarer Weise, wie er sich charakteristischer Aspekte verschiedener Orte für seine Panoramen bedient, okkupiert er diese Nachahmungstechnik, und verkehrt ihren Einsatz, indem er ein vermeintlich tragfähiges Objekt präsentiert. Italien – München, als Dauerschleife prägt diese Verbindung die Biografie des Künstlers sowie dessen Werk. In diesem Fall ist es München, das als Geburtsstätte der Scagliola ihre Verbreitung in Italien anstößt sowie Zwischenstopp zur nächsten Ausstellung Polazzos in Rom bildet.[1]
Im zweiten Raum bei Loggia schließlich ist die Natur längst über die Brüstung gewuchert, bereit den Betrachter_innen den Raum streitig zu machen und mit einer dystopischen Idee der Grenzüberschreitung zurückzulassen.
Text: Aline Fieker
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[1] Allekotte, Jutta: Orte der Muße und Repräsentation. Zu Ausstattung und Funktion römischer Loggien (1470-1527). Bonn 2011, S.70 (nicht publiziert).
[2] Wedekind, Wanja (2010): Scagliola – auf den Spuren zu möglichen Ursprüngen und Verbreitungen einer europäischen Kunsttechnik, in: Pursche, Jürgen (Hrsg.) „Stuck des 17. und 18. Jahrhunderts Geschichte – Geschichte – Technik – Erhaltung“. Internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen Würzburg, 4.-6.11.2008, München 2010: S. 213-221.